Kaffee mit der Präsidentin
Frauen sind Produzentinnen, arbeiten in der Cafetería, im Frauenkomitee, in der Buchhaltung, in der Qualitätskontrolle – und eines Tages auch in der Leitung von Aprocassi, dafür wird Dalinda Castillo schon sorgen.
Das Gespräch mit Dalinda Castillo ist nicht eingeplant. Sie ist die gewählte Präsidentin des Frauenkomitees der Kaffeekooperative Aprocassi. Die Frauen betreiben eine eigene Cafetería in der knapp 1300 Meter hoch gelegenen Stadt San Ignacio im Norden Perus. Wir wollten uns nur kurz dort aufhalten und dann sofort weiter zum ersten Kaffeefarmer am Tor zum Nebelwald. Haben eh schon Verspätung. Dabei hat unser Fahrer auf der Strecke von Jaén nach San Ignacio alles gegeben: voll Speed über die gut ausgebaute kurvige Straße, Vollbremsung vor jedem der vielen Speedbreaker, Rockkonzertmitschnitte auf dem Bildschirm unterm Wagendach. Das ist nicht jeder von uns gut bekommen. Wir mussten unterwegs eine Pause einlegen. Die Cafetería ist ein angenehmer Ort, um wieder ins Lot zu kommen – ein guter Kaffee hilft dabei. Etwa 23 Frauen sind derzeit im Komitee aktiv, alle sind sie, wie die Präsidentin selbst, auch Landbesitzerinnen und Kaffeeproduzentinnen. „Davon abgesehen“, sagt Dalinda Castillo, „würde ohne die Hilfe der Frauen hier kein Gramm Kaffee produziert“. „Mit der Cafetería versuchen wir auch, den Kaffeekonsum populärer zu machen“, setzt sie nach, „denn meist wird der Kaffee nur für den Export produziert“.
Nette, starke Gemeinschaft
Dalinda Castillo bearbeitet ihre Plantage allein, die Kinder helfen, die jüngsten, sieben und 13 Jahre alt, leben noch bei ihr, die anderen vier sind schon aus dem Haus. „Kaffee“, sagt sie, „ist ein Produkt von hoher Qualität, die Preise sind höher als die für andere Erzeugnisse – und schließlich komme ich aus einer Familie von Kaffeeanbauern“. Soviel zu den Gründen, warum sie Kaffee produziert. Sie kann davon leben, aber nur, weil sie dazu etwas Vieh hält und Gemüse für den Eigenbedarf anbaut, wie es viele der Kaffeeproduzentinnen und -produzenten tun.
Bei Aprocassi verarbeiten die Produzent*innen die Kaffeekirschenernte selber und liefern die getrockneten Bohnen im Lagerhaus hinter der Cafetería ab. Die Kooperative sei ihre Gemeinschaft, sagt Dalinda Castillo. „Sie wurde von einer Gruppe gegründet, es ist unser Ding, wir halten zusammen, die Produzentinnen und Produzenten sind nette und starke Leute.“ Viele der vielen Kaffeebäuerinnen und -bauern in San Ignacio seien in Genossenschaften organisiert, aber es gebe auch welche, die die Treffen und Absprachen und gemeinsamen Entscheidungsfindungen und die Standards, die die Kooperativen verlangten, als Einschränkung ihrer Freiheit erlebten und lieber für sich allein arbeiteten. Als ihr Mann seinerzeit bei Aprocassi ausgetreten sei, sei sie selbst Mitglied der Kooperative geworden. „Als Mitglieder haben wir Zugang zu Krediten und technischer Hilfe, wir sind automatisch auch Mitglied bei Aprocredi und haben das Anrecht auf ein Darlehen, um beispielsweise die Ernte vorzufinanzieren“, sagt sie.
Eine Frau braucht Freundinnen
Aufgabe des Frauenkomitees ist es, das Management zu unterstützen. Dalinda Castillo ist zudem Sekretärin des Verwaltungsrats der Kooperative. Und ja, sie arbeite daran, dass mehr Frauen in die Leitungsebene der Kooperative kommen, das sei eins ihrer Ziele, sagt sie. Beim späten Lunch sitzt sie an der langen Tafel neben mir. So rudimentär meine Spanischkenntnisse sind: Sie reichen aus für ein erstaunlich persönliches Gespräch, das Dalinda Castillo mit der Frage nach meinem Privatleben eröffnet, nach Kindern, Alltag, Auffassungen. Sie erzählt von sich, von der Furcht vor dem Moment, an dem auch das letzte Kind aus dem Haus geht, von ihren acht Brüdern und dem wachsenden Einfluss ultrakonservativer evangelikaler Kirchen in der Stadt, die Frauen zwingen, ihre Körperkonturen zu bedecken und sich in der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Davon hatte auch Nicolas Villaume, der in Lima lebende Fotograf, der die Study Tour begleitet, erzählt: Es gibt unzählige dieser Kirchen, sie haben großen Zulauf, leben von Rassismus und Ausgrenzung und wirken zerstörerisch auf die Gemeinschaften. Kein leichtes Umfeld für eine toughe Frau wie Dalinda Castillo, stelle ich mir vor. Nein, sagt sie, wie sie sich kleide und bewege, sei für manche in ihrer eigenen Familie anstößig. Aber sie sei ja nicht allein. „Ich habe das Frauenkomitee, und ich habe kluge Freundinnen.“
Am Ende der Study Tour wird eine aus unserer Gruppe, nach konkreten Hoffnungen gefragt, sagen: „Ich hoffe, dass Dalinda Castillo einmal Präsidentin von Aprocassi sein wird.“